Univ.-Prof. Dr. Andreas Karwautz |
Presse |
1) Im KURIER, 19.06.2000 (Autor: Ernst Mauritz)
Ess-Störungen: Auf der Suche nach den vielfältigen Ursachen AKH-Experten erforschen Rolle der Umwelt und Gene. Aufruf an Schwesternpaare für Interviews
Als die 16-jährige Anna erstmals in die Ambulanz kam, hatte sie nur noch 28 Kilo. Ihre tägliche Nahrungsaufnahme hatte sie auf eine Brezel, eine halbe Schale Kakao und einen halben Liter Wasser reduziert. "Mit jedem Kilo, das ich abgenommen habe, habe ich mich besser gefühlt."
"Wir mussten das Mädchen einige Wochen stationär aufnehmen", erzählt Oberarzt Andreas Karwautz von der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters (Vorstand: Prof. Friedrich) am Wiener AKH. Mit einer Psychotherapie ist es gelungen, ihr Essverhalten zu normalisieren. Mittlerweile wiegt Anna wieder 47 Kilo. Wodurch Essstörungen wie Magersucht, Ess-Brechsucht und Fettleibigkeit ausgelöst werden, ist derzeit nur zum Teil bekannt. "Wir kennen gewisse allgemeine Risikofaktoren wie reduziertes Selbstwertgefühl, Depressionen, eine perfektionistische Persönlichkeit, hohe Erwartungen der Eltern, ein schlechtes soziales Netzwerk (wenig Freunde) oder auch sexueller Missbrauch", sagt Karwautz: "Welche im Besonderen für Essstörungen entscheidend sind, wissen wir derzeit noch nicht ausreichend."
Diese Persönlichkeits- und Umweltfaktoren sind aber nur eine Seite: "Es gibt auch genetische Risikofaktoren - doch wie groß ihr Anteil ist, auch das ist noch unbekannt." Man kennt bereits einige Gen-Abschnitte, die für die Appetitregulation verantwortlich sind. Veränderungen in diesen Abschnitten könnten die Entstehung von Essstörungen begünstigen.
Dass genetische Ursachen bedeutend sind, zeigen Untersuchungen mit Zwillingen: Leidet ein eineiiger Zwilling an Magersucht, so liegt das Risiko für die Schwester oder den Bruder (die zu 100 Prozent genetisch ident sind), ebenfalls zu erkranken, bei 30 bis 65 Prozent. Bei zweieiigen Zwillingen (die nur zu etwa der Hälfte genetisch ident sind) liegt das Risiko für ein Geschwisterkind nur bei null bis sieben Prozent. "Daher sind molekulargenetische Untersuchungen bei dieser Erkrankung sinnvoll", betont Karwautz.
Das Wiener AKH ist in eine große EU-Studie eingebunden, mit deren Hilfe die auslösenden Faktoren von Essstörungen erforscht werden sollen: Erstmals werden genetische und Umweltfaktoren gemeinsam untersucht und die Zusammenhänge analysiert.
"Wir suchen dafür Schwesternpaare, von denen eine oder beide Frauen an einer Essstörung gelitten haben oder noch leiden", sagt Karwautz. Sie werden von Psychologinnen interviewt: "Zur weiteren Erforschung dieser Erkrankungen sind ihre Erfahrungen als Betroffene unverzichtbar." Für die genetische Untersuchung wird ein Wangenschleimhautabstrich gemacht.
Die Ergebnisse dieser Studie könnten für die Vorbeugung von Essstörungen große Bedeutung haben: "Je genauer wir die entscheidenden Risikofaktoren kennen, umso genauer können Präventionsprogramme und Therapien darauf abgestimmt werden."
2) In: KURIER 17.10.2003 (Autor: Ernst Mauritz)
Welche Risikofaktoren zur Magersucht führen
Drei bis fünf Prozent der jungen Frauen leiden an Ess-Störungen wie Magersucht (Anorexie) oder Ess-Brechsucht (Bulimie). Magersucht ist eine der schwersten psychischen Krankheiten, die auch die Angehörigen enorm belastet. Im Gegensatz zur Ess-Brechsucht spielt bei der Entstehung der Magersucht das via Medien transportierte Körperbild kaum eine Rolle. In einem Projekt am Wiener AKH werden die vielfältigen Risikofaktoren erforscht, die Magersucht auslösen. Erste Ergebnisse werden beim größten deutschsprachigen Kongress für Ess-Störungen präsentiert, der heute, Freitag, in Alpbach beginnt. *Wir wissen heute viel genauer als noch vor einigen Jahren, welche biologischen, psychischen und sozialen Ursachen Magersucht hat", sagt Univ.-Prof. Andreas Karwautz, Leiter der Ambulanz für Ess-Störungen bei Jugendlichen am Wiener AKH. - Biologisch: Ca. 30 der Ursachen liegen in den Genen. Es gibt auch Veränderungen im Hirnstoffwechsel, die moderne bildgebende Verfahren sichtbar machen. In diese Gruppe fällt auch eine *reduzierte Flexibilität der Gedanken": *Schon vor Ausbruch der Krankheit sind die Patienten sehr unflexibel, etwa in der Gestaltung von Beziehungen. Sie sehen nicht mehr die Breite und Vielfalt des Lebens." - Psychisch: Hang zu Perfektionismus, mangelndes Selbstwertgefühl. - Sozial: Z. B. schwere Probleme in der Beziehung zu Eltern oder Gleichaltrigen. *Das verbesserte Wissen um die Ursachen wird uns auch helfen, die Therapien zu verbessern", so Karwautz.
Der wissenschaftliche Leiter des Kongresses, Univ.-Prof. Günther Rathner aus Innsbruck, warnt vor dem Trend zum *gezügelten Essverhalten". Diese andauernde, willentliche Einschränkung der Nahrungsaufnahme, um das *Traumgewicht" zu erreichen oder zu erhalten, könne nicht nur zum Jo-Jo-Effekt (rasche Gewichtszunahme nach einer Diät) führen. Sie könne auch zu einer Art *Einstiegsdroge" in die Krankheit werden: *Ohne dieses gezügelte Essverhalten kann sich keine Ess-Störung entwickeln." Zwar sind nach wie vor Mädchen und junge Frauen die Hauptrisikogruppe für Ess-Störungen. *Das gezügelte Essverhalten führt dazu, dass immer öfter auch Frauen in der Lebensmitte, die wegen ,Problemzonen' hungern, betroffen sind." Rathner rät deshalb von Diäten ab: *Besser sind gesunde, ausgewogene Ernährung und viel Bewegung." - Ernst Mauritz
3) In: KURIER 18.10.2003 (Autor: Ernst Mauritz)
Sich dick fühlen, ohne dick zu sein
Viele Jugendliche halten sich für zu dick, obwohl sie es gar nicht sind: Zu diesem Ergebnis kamen Befragungen von Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 20 Jahren, deren Ergebnisse auf dem Kongress zum Thema Ess-Störungen in Alpbach präsentiert wurden. *Obwohl lediglich etwas mehr als sieben Prozent der befragten Schüler übergewichtig waren, fühlten sich 48,5 Prozent der Mädchen und 21,2 Prozent der Buben zumindest an einigen Körperstellen zu dick", so die Psychologin Karin Waldherr von der Uni Wien. 50 Prozent der Mädchen und fast 20 Prozent der Burschen hatten schon eine Diät durchgeführt. *Und 11,2 Prozent der Schülerinnen sowie 5,6 Prozent der Schüler gaben an, schon einmal Abführmittel, Appetitzügler, harntreibende Mittel oder Erbrechen zur Gewichtskontrolle eingesetzt zu haben." Ein solches Verhalten kann zu einer schweren Ess-Störung wie Magersucht oder Ess-Brechsucht führen. Einen Hauptgrund für den Wunsch nach weniger Kilos sieht Psychologe Univ.-Prof. Günther Rathner, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Essstörungen, darin, dass *unsere Gesellschaft Schlanksein mit Glück, Erfolg und Anerkennung gleichsetzt". *Kommt es tatsächlich zu einer Ess-Störung, erhöht eine frühzeitige Behandlung die Heilungschancen", so Rathner. *Dabei müssen psychische, familiäre und gesellschaftliche Ursachen einbezogen werden." Bewährt haben sich Einzel-, Gruppen- und Familientherapien. *Bei jedem Patienten spielt immer eine Vielzahl an Ursachen zusammen", betont auch Kinderpsychiater Univ.-Prof. Andreas Karwautz vom Wiener AKH. Die genetischen sind immer nur ein Teil: *Und auch hier gibt es nicht ein Hungergen, sondern eine Vielfalt an Veränderungen in bestimmten Gen-Abschnitten, die für die Appetitregulation zuständig sind." Eltern, deren Kinder an Essstörungen leiden, machen sich oft Vorwürfe, in der Erziehung versagt zu haben: *Solche Schuldzuweisungen bringen aber nichts. Wichtig ist, dass Kind, Eltern und Arzt zusammenarbeiten." Wie kann man Ess-Störungen vorbeugen? - Eltern sollten in einer *liebevollen Atmosphäre" die Selbstständigkeit und das Selbstbewusstsein der Jugendlichen fördern. - Gemeinsame, regelmäßige Mahlzeiten: Weil viele Familien etwa keine Zeit für ein gemeinsames Frühstück haben, gibt es bereits Klassen, in denen die Kinder regelmäßig gemeinsam frühstücken. - Ein Zwang zum Essen und familiäre Machtkämpfe ums Essen sollten unbedingt vermieden werden.
4) In: KURIER 20.10.2004 (Autor: Ernst Mauritz)
Die vielen Ursachen von Magersucht
Auch Essstörungen wie Magersucht (Anorexie) oder Ess-Brechsucht (Bulimie) sind psychische Erkrankungen. Das *Europäische Forschungsprojekt Essstörungen" * Leiter für Österreich ist Prof. Andreas Karwautz, Ambulanz für Essstörungen bei Jugendlichen am Wiener AKH * hat die Daten der Befragung von 128 Schwesterpaaren ausgewertet, bei denen jeweils eine Schwester erkrankt ist. Es ist die größte derartige Studie weltweit. Einige der festgestellten Risikofaktoren: - Die Betroffenen litten vor Erkrankungsausbruch unter starker Eifersucht auf ihre gesund bleibenden Schwestern. - Als Kinder waren sie häufiger perfektionistisch, entwickelten keinen gesunden, stabilen Selbstwert und hatten weniger Freunde als ihre gesund bleibenden Schwestern. - Im Jahr vor Ausbruch der Essstörung hatten sie öfter einschneidende Lebensereignisse erlebt und litten häufiger sehr unter elterlichem Streit. - Als Kinder ließen sie viel öfter das Frühstück ausfallen und aßen mehr Süßigkeiten. Das Thema Ernährung (z.B. Diäten) hatte in der Familie hohen Stellenwert. Karwautz: "40 des Risikos, an Magersucht zu erkranken, sind genetisch bedingt, 60 durch die Umwelt. Beides spielt zusammen."
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